21. August, ein sonniger Tag im Sommer 2011. Meine Frau, meine Kinder Nico, Sascha und ich, wir genießen das Schwimmbad, alle fühlen sich gut, alle haben Spaß.

Ich übe mit meinen Kindern den Köpfler  vom Beckenrand- achte darauf, dass ihnen nichts passiert. Ich gebe ihnen Hilfe und Ratschläge, leite sie an und unterstütze sie.

Trotzdem passiert es- jemand rutscht aus…. Wer? Ich. Der Erwachsene. Der, der beschützt.

Und ich komme nicht mehr aus dem Wasser- warum nicht? Die Sekunden vergehen. Sekunden des Verstehens. Viele Menschen verstehen und viele davon reagieren professionell und schneller, als die Realität sich in den Köpfen aller ausbreiten kann. Sie mich aus dem Wasser ziehen und fangen an, zu reanimieren, nachdem sie sehen, dass ich nicht mehr atme.

Sie reanimieren mich und machen das gut, gekonnt- nicht zum ersten Mal- Ärzte, scheinbar. Das raubt Kraft, sie wechseln sich ab. Minute um Minute, eine Stunde. Bis der Hubschrauber kommt und mich ins Krankenhaus bringt.

Im Krankenhaus steht das Unfallteam bereit. Ankündigung: Bewusstlosigkeit nach Sturz, Transport mit Heli unter Reanimation seit 60 Minuten. Die unausgesprochene Meinung der Fachkundigen: das ist eine lange Zeit.

Höchste Konzentration, Bereitschaft. Bei Ankunft des Patienten Übernahme und Stabilisierung des Kreislaufes. Diagnosestellung C2 Fraktur.

Was das heißt? Das Herz des Patienten hat seine Arbeit wieder aufgenommen, es konnten Untersuchungen gemacht werden die gezeigt haben, dass der Halswirbel gebrochen ist. Eine sofortige Notoperation wird eingeleitet.

Ich, der Patient Goran, der Vater aus dem Schwimmbad. Bin gestürzt, fast gestorben, habe überlebt.

Martina: Goran, dein Ehemann, Nico, Sascha, Goran, euer Papa, hat überlebt. Es war ein fataler Sturz, aber jetzt ist alles gut, denn er lebt und hat wie durch ein Wunder  geistig keinen Schaden genommen.

Das ist das Wichtigste, jetzt kommen die „Details“: der Bruch macht, dass ich mich vom Hals abwärts nicht bewegen kann, ich kann auch nicht alleine atmen. Ich brauche eine Intensivstation. Das ist eine Abteilung im Spital, die zum Glück nicht viele Leute kennen lernen müssen. Dort herrschen eigene Regeln und es herrscht eine eigene Atmosphäre. So viele Maschinen, so viele Geräusche und Empfindungen.

Unter der künstlichen Beatmung, die ich brauche, da ich ja nicht alleine atmen kann, steht mein noch geschocktes Herz zu sehr unter Druck und braucht ebenfalls eine Maschine zur Hilfe: einen Herzschrittmacher.

Aber wieder geht es gut. Mit der Unterstützung von Medizin, Pflege und Familie erhole ich mich erstaunlich gut.

Auch die Familie lernt in kürzester Zeit, die schreckliche Situation anzunehmen.

Martina, meine Frau,  fasst sich, übernimmt Verantwortung und Kontrolle, der neue Lebensabschnitt hat begonnen. Sie organisiert und koordiniert, beantragt Hilfestellungen, liest sich ein, in das, was schon so vielen, aber nun ihrem Mann passiert ist. Eignet sich Wissen an.

Und lebt ihren Kindern, als Mutter weiter ein Leben vor, das ihnen Halt gibt und das Gefühl, dass es auch nach so einem Schicksalsschlag weitergehen wird. Sie ist ihnen in dieser Zeit Mutter, Freundin, Stütze und Psychologin.

Für mich ist sie Ehefrau und Managerin, die Rehabilitation in Deutschland die sie beantragt, wird bewilligt- wegen meiner großen Fortschritte!

Was für die Familie nun auch beginnt, ist das Kennenlernen der wahren Bürokratie. Während in der kleinen Welt unserer Familie kein Stein auf dem andern liegt, dreht sich der Rest der Welt ungeniert weiter- und in Deutschland ist man nun mal ausgebucht fürs nächste Jahr.

Das bringt das Gerüst aus Stärke und Zuversicht, das die Familie gemeinsam aufgebaut hat, gehörig ins Wanken.

„Kein Platz“ in Deutschland, „zu gut“ für die Intensivstation, „zu schlecht“ für eine „normale“ Station- was soll das heißen? Wir leben in einem zivilisierten Sozialstaat mit ausgezeichneter Infrastruktur- aber für „Fälle“ wie diesen, hat noch niemand einen Ort geschaffen?

Ich werde schließlich am 16. November 2011 in die Schön Klinik verlegt, Bad Aibling, Deutschland.

Intensivstation, Spezialisierung: Schlaganfall.

Unglaube. Aber: die Familie arbeitet weiter.

Mein Herz erholt sich, der Herzschrittmacher kann rasch in „Standby“ gebracht werden. Ich lerne auch, meine Beatmungsmaschine selbstständig zu steuern und Ende des Jahres ergibt ein Test, dass es mir möglich wäre, mit einem Zwerchfellstimulator zu atmen.

Der Unterschied wäre: die Belastung der Lunge würde massiv sinken, die eigenen Ressourcen würden massiv besser genützt, ich würde am Weg in die Selbständigkeit, in das selbständige Atmen ein Riesenstück vorankommen.

Neben diesem Riesenschritt lernt auch mein Körper, sich wieder besser selbstständig zu regulieren.

Aufrechtes Sitzen ist jetzt schon ohne Kreislaufprobleme möglich. Das war bisher nicht selbstverständlich.

Ein Umstand, den wir gesunde Laien uns ja kaum richtig vorstellen können. Aufrecht sitzen, ein Erfolg- und was für einer.

Und es geht weiter: in der BG Unfallklinik Thübingen, wo ich ab 14. März 2012 untergebracht bin, wird nun tatsächlich ein Zwerchfellstimulator implantiert- die mobile Maschine, die meiner gesunden Lunge von nun an den Takt zum Atmen angibt, weil die Nerven momentan ihre Arbeit noch nicht tun.

Die Familie erfährt in Deutschland, was für undenkbare Supportmöglichkeiten existieren.

Eine gezielte Rehabilitation für Querschnittsgelähmte, beatmete Patienten- etwas, das es in Österreich nicht gibt, öffnet mir den Weg zu Sport und Therapie, Beweglichkeit im Rollstuhl, Ausflügen und mehr.

Mein Körper antwortet auf den Input mit wiederkehrenden kleinen Bewegungen der Finger, der Zehen.

Zehn Atemzüge schaffe ich außerdem schon ohne Unterstützung.

Inzwischen ist sicher: Ich kann meinen Körper bewegen, ich habe nur „vergessen“, wie. Die Nerven müssen lernen, wieder Kontakt zu den Muskeln aufzunehmen. Harte Arbeit kann mich aus der völligen Abhängigkeit führen, das ist allen bewusst.

Die professionelle Pflege und Betreuung zeigt also ihre Wirkung, aber die Familie gelangt an die nächste Hürde in ihrem neuen Leben. Die Zeit in Deutschland geht zu Ende.

Weg aus den Spezialkliniken (wenn auch noch nicht einmal spezialisiert auf „meinen“ Spezialfall), meine Erfolge, Veränderungen und mein gestärktes Vertrauen in seine Möglichkeiten im Gepäck- komme ich, Goran ab 11. September 2012 im Wiener  Otto Wagner Spital unter.

Dort ist der Umgang mit dem Zwerchfellstimulator noch fremd, wenig Personal und hoher Arbeitsaufwand führen zu mangelnder Akzeptanz, lieber arbeitet man mit „bekannten Mitteln“. Das heißt, mit Beatmungsmaschinen. Das heißt, Rückschritte auf der ganzen Linie.

Um das Fehlen der spezialisierten Pflegekräfte zu kompensieren und um eine eventuelle Verlegung nach Hause zu ermöglichen, beginnt Martina- inzwischen selbst Fachexpertin, angelernt durch die Monate an meiner Seite, „persönliche Assistenten“ auszubilden.

Martina schafft es:  von ursprünglich neun ausgebildeten Personen, fühlen sich drei der riesigen, verantwortungsschweren Aufgabe gewachsen. Es wird eine Verlegung nach Hause am 22. Dezember 2012 geplant. Ein großer Schritt- wieder ein großer Schritt.

Die ersten Tage spielen sich ein, alle versuchen, „anzukommen“.

Am 28. 12. 2013 soll dann die Ablöse der Betreuungspersonen stattfinden. Am 27. 12. sagt die zuständige Person aber leider ab, ebenso die „Reserve- Person“.

Und was jetzt? Alleine ist die Pflege für Martina nicht zu schaffen und nicht zu verantworten- moralisch, gesetzlich, menschlich.

Einen geeigneten Platz für mich in einer öffentlichen Einrichtung Österreichs gibt es nicht, das hat die Familie inzwischen schon akzeptieren müssen.

Ein Antrag auf Übernahme durch das Geriatriezentrum Wienerwald wird angenommen. Ich beziehe am 28. Dezember 2012 dort ein Zimmer.

Medizinisch engagiert man sich dort sehr, der Zwerchfellschrittmacher wird dem Personal vertraut gemacht.

Was fehlt: Zeit und Ausbildung des Pflegepersonals für adäquate Betreuung.

Ich fühle mich als Patient alleingelassen und aufgegeben, die großen bisherigen Erfolge scheinen nichtig.

Wegen Zeitmangels, wegen scheinbar mangelnden Interesses- oder mangelnden Glaubens an die Möglichkeiten, wegen fehlendem fachlichen Wissens, bekomme ich keine Unterstützung mehr.

Körper und Geist fallen zurück in alte Stadien.

Traurigkeit, Mutlosigkeit, schwindender Lebenswille beherrschen mich.

Alle, einschließlich des Obersten Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes sind sich einig, dass die fachpflegerische Versorgung durch Intensivpflegepersonal eine bisher nicht erahnte Notwendigkeit darstellt.

Das alte, bekannte Problem: niemand kann das gewährleisten, keine Landesträgerorganisation in Wien kann diese Art Pflege im gesetzlich vorgegebenen Rahmen sicherstellen.

Die Zeit vergeht, wir kämpfen uns durch die Tage. Nur einmal unterbrochen durch einen zweiwöchigen  Aufenthalt zu Hause, zum Krafttanken.

Am 27. Februar 2013 übernimmt die Firma GTH die Betreuung:  die einzige Firma, damals in Österreich, in der Pflegepersonen mit Sonderausbildung Intensivpflege  - sich auf die Arbeit mit Patienten mit Zwerchfellschrittmacher spezialisiert haben.

Auch eine Rehab in Kittsee wird organisiert, die mich wieder weit voran bringt. Verlerntes, Vergessenes, Abtrainiertes wird wieder aufgebaut, ein Pflegekonzept wird erstellt und professionell angewandt.

Mein Selbstbewusstsein und Lebenswillen kehren zurück.

Jetzt, anfänglich in Zusammenarbeit mit der Firma GTH, schlussendlich mit der Firma Curaplus, kann ich nach so langer Zeit endlich mit gutem Gefühl, dem wirklich gutem Gefühl der Sicherheit, nach Hause kommen, wo mich professionelle Pflege und Rehabilitation erwarten.

Und weiter kämpfe ich mich voran. Mit der intensiven fachlichen Unterstützung in der häuslichen Pflege erreiche ich frühere Höhen und noch mehr, die Aktivität der Atemmuskulatur wird wieder stark verbessert – ich kann inzwischen 15 Minuten alleine atmen -  die Bewegungen nehmen zu – Finger und Arme kann ich bewegen und zeitweise reicht die Muskelkraft der Beine bereits aus, um selbstständig Fahrrad zu fahren. Die psychische Situation kommt wieder unter Kontrolle, unsere Familie ist wieder zusammen- in unserem zu Hause, und wir können einander Tag für Tag Kraft und Liebe spenden, die alle so dringend nötig haben. In dem Wissen, dass ich gut versorgt bin und mein Potenzial ausgeschöpft wird. Mit dem Glauben an einen Weg, der mich zurück zu mehr Selbstständigkeit führt. Mein Körper kann lernen, und das will er auch.

Das vorläufige Ende der Geschichte ist also ein Anfang. Ich bin zu Hause, mein langer Weg zurück kann weitergehen, der Weg als Familie kann weitergehen, Kraft und Liebe haben alle zusammengehalten und tun das weiter.

Das vorläufige Ende dieser traurigen Geschichte ist also ein Gutes:

es lehrt uns, was „Familie“ bedeutet, was Zusammenhalt bewirken kann, wie Liebe heilt und Möglichkeiten eröffnet.

Die Familie hat nicht aufgegeben, bis ich Goran, der Vater wieder zu Hause war, wo er hingehört.

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